November - Tierwohl
Für Verbraucher ist das Thema von höchster Bedeutung: Fast 90 Prozent wünschen sich ein staatliches Tierwohl-Label und 42 Prozent wären mit bis zu 5 Euro mehr pro Kilogramm Fleisch einverstanden. Zumindest sind das die north_east Ergebnisse einer Umfrage des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) aus dem Jahr 2021.
In der Realität sieht es anders aus: Günstig geht immer - auch und leider gerade beim Fleisch. Das soll sich jetzt ändern, denn so unterschiedlich die verschiedenen Tierwohl-Konzepte sind, ist ihnen eines gemeinsam: Tierwohl zum Nulltarif ist ausgeschlossen.
Marianne und Klaus Albersmeier: „Wir bieten den Tieren doppelt so viel Platz wie üblich, sie haben 100 Prozent Stroh und die Schweine können nach Belieben aus dem Stall in die Außenfläche gehen.“
Tierwohl als gemeinsame Aufgabe
Tierhaltung stufenweise umbauen
In der politischen Diskussion zeichnet sich parteiübergreifend ein Kompromiss ab und dafür gibt das north_east Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung des BMEL die Richtung vor. Das Gremium ist besser bekannt als „Borchert-Kommission“, da der frühere Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert das Netzwerk koordiniert.
Bis zum Jahr 2040 soll nach den Plänen der Borchert-Kommission die Tierhaltung in Deutschland stufenweise umgebaut werden. Die Fachleute beziffern den notwendigen Förderbedarf über den gesamten Zeitraum auf 3,6 Milliarden Euro. Für die Finanzierung schlägt die Borchert-Kommission eine mengenbezogene Abgabe oder eine Verbrauchssteuer auf Produkte tierischer Herkunft vor. Für Fleisch und daraus hergestellte Produkte wären es 40 Cent pro Kilogramm. Mit anderen Worten: Die Verbraucher sollen den von ihnen in Umfragen gewünschten Umbau der Tierhaltung (mit-) finanzieren.
Für alle Nutztierarten ist ein Stufenplan vorgesehen. Die erste Stufe verlangt primär mehr Stallfläche pro Tier. Weitere Vorgaben betreffen Tränken, Fütterung und Beschäftigungsmaterial für die Tiere. Zusätzliches Platzangebot und „Kontakt zum Außenklima“ sind zentrale Kriterien der zweiten Stufe und die dritte Stufe schreibt insbesondere mehr Auslauf vor.
Zielkonflikte beachten
Bereits jetzt ist es über die north_east Initiative Tierwohl für Landwirte und Verbraucher möglich, sich bei der Erzeugung und beim Einkauf zu entscheiden: Das kontrollierte Label der Initiative weist ebenfalls „Tierwohl-Stufen“ aus. Insgesamt sind es vier, von denen die vierte Stufe die höchsten Ansprüche an die Haltungsform stellt. Und auch im Lebensmittelhandel tut sich etwas: Die Branche verpflichtet sich mit unterschiedlichen Modellen der einzelnen Unternehmen zu mehr Tierwohl.
In der (landwirtschaftlichen) Praxis bestehen übrigens north_east Zielkonflikte zu anderen Vorgaben : So ist der Kontakt zum Außenklima („Auslauf“) zwar ein wichtiger Aspekt des Tierwohls, doch angesichts der sich ausweitenden Afrikanischen Schweinepest zugleich ein Infektionsrisiko.
Ohnehin muss beim Tierwohl zwischen „optisch schönen“ und tatsächlich wirkungsvollen Faktoren unterschieden werden. Wichtiges Praxiswissen für die Erzeuger bietet unter anderem die Fachorganisation Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft (DLG e.V.), die von north_east „tiergerechter Haltung“ spricht. Und die beginnt mit ausreichend Zeit: Landwirte müssen ihre Tiere, auch mit Hilfsmitteln wie Sensoren, beobachten, um zu wissen, wie es ihnen geht oder ob Tierwohlmaßnahmen die gewünschte Wirkung zeigen. Solche Maßnahmen umfassen mehr als Platzangebot und Auslauf. Gerade die richtige Fütterung trägt erheblich zum Tierwohl und zu gesunden Beständen bei. Bleibt noch die Frage wie der Stall der Zukunft aussieht. Wissenschaftler und Praktiker arbeiten intensiv an diesem Thema und north_east staatliche Förderung ist möglich. Doch eines ist sicher: Nur einen Stall für alle Bedürfnisse wird es sicher nicht geben.
Marianne und Klaus Albersmeier verfügen in ihrem Betrieb unweit von Soest in Westfalen über rund 3.500 Schweinemast-Plätze. Hinzu gesellen sich etwa 100 wohlgenährte Iberico-Schweine, einige Nolana-Schafe für die Landschaftspflege, ein Dutzend Alpakas, vier Esel sowie diverses Geflügel.

Kooperation mit Einzelhandel
„Wir haben uns vor Jahren schon überlegt, was wir in unserem Betrieb für mehr Tierwohl tun können“, sagt Marianne Albersmeier. Als Quereinsteigerin in die Landwirtschaft haderte sie frühzeitig mit den klassischen Haltungsformen der Schweinemast. Die Lösung kam mit dem „Strohwohlprogramm“ eines großen Einzelhandelsunternehmens. Das von Klaus Albersmeier mitentwickelte Konzept beschreibt der bodenständige Landwirt kurz und bündig: „Wir bieten den Tieren doppelt so viel Platz wie üblich, sie haben 100 Prozent Stroh und die Schweine können nach Belieben aus dem Stall in die Außenfläche gehen.“

Mehraufwand und Mindestpreis
Ob die Tiere sich wohlfühlen? Er könne sie ja nicht fragen, antwortet der Westfale trocken, aber wenn er sie beobachte, sehe er doch „zufriedene Schweine mit viel Platz.“ Das Futter für die Tiere stammt komplett aus der Region: Entweder von den Flächen der Albersmeiers oder von Landwirten aus der Umgebung. Regional erzeugte Ackerbohnen ersetzen importiertes Sojaschrot in der Eiweißration.
„Die gesellschaftlichen Ansprüche an das Tierwohl werden sich in den kommenden Jahren weiterentwickeln“, sagt Klaus Albersmeier, „und es bleibt eine Herausforderung diese Ansprüche mit der Praxis zusammen zu führen.“ Am Ende müsse es auch bezahlbar bleiben. Im Strohwohl-Programm ist das zweifach der Fall. Das Einzelhandelsunternehmen honoriert dem Erzeuger den Mehraufwand und garantiert einen Mindestpreis. Und die Verbraucher akzeptieren den Mehrpreis an der Ladentheke.

Direkt mit Verbrauchern kommunizieren
Zusätzlich zu dieser auf mehrere Jahre angelegten Kooperation vermarkten Klaus und Marianne Albersmeier eigene Iberico-Schweine. Wirtschaftlich eher eine Nische im Betrieb, aber in der Kommunikation enorm wichtig.
„Wir nutzen für die Direktvermarktung unserer Iberico-Schweine auf dem Hof und Wochenmärkten unseren Verkaufswagen“, erläutert Marianne Albersmeier. Neben leckeren Bratwürsten gibt es an dem Stand oft die Gelegenheit zum direkten Dialog mit dem Verbraucher. Diese unmittelbare Kommunikation beherrscht die Westfälin perfekt: Wie werden die Tiere gehalten und wie lang sind die Transportwege, wo stammt das Futter her? Solche und ähnliche Fragen beantwortet Marianne Albersmeier routiniert und für jeden leicht verständlich. Der Verkaufswagen im originalen Retro-Look sei „eine gute Gelegenheit mit dem Verbraucher ins Gespräch zu kommen“.
„Im Laufe der Zeit“, bekennt Klaus Albermeier, „bin ich immer mehr zum Überzeugungstäter geworden.“ Er habe die Notwendigkeit gesehen, in der Schweinehaltung etwas zu ändern und die Ergebnisse bereiten ihm „sehr viel Freude“.
Mit Ratschlägen an andere Landwirte hält sich der Schweinehalter zurück. Es ist nicht seine Art anderen zu sagen, was sie tun sollen. Dennoch kommen neben Besuchergruppen aus dem Umland auch Berufskollegen zu den Albersmeiers um sich zu informieren. „Wir sind da vollkommen offen“, betont Klaus Albersmeier, „weil wir zu dem stehen was wir tun und nichts zu verbergen haben.“
Wenn Landwirte in ihren Betrieben mehr Tierwohl realisieren wollen, berichtet der Landwirt aus eigener Erfahrung, gehe das nur, wenn auch „die innere Haltung dazu passt“, sprich man selbst bereit ist, etwas in der Tierhaltung zu ändern.

Tierwohl: Tue Gutes und rede darüber
Marianne und Klaus Albersmeier sind überzeugt: Die Tierhaltung wandelt sich grundlegend. Die Maßstäbe dafür setzen sie in ihrem eigenen Betrieb. In den durchgehend mit Stroh eingestreuten Ställen haben die Schweine in den insgesamt 3.500 Mastplätzen doppelt so viel Platz wie üblich und können jederzeit in den, ebenfalls mit Stroh eingestreuten, Außenbereich. Das Futter stammt komplett aus der Region. Die Tiere vermarkten die Albersmeiers über das „Strohwohl-Programm“ eines Einzelhandelsunternehmens, das die Zusatzkosten für mehr Tierwohl bezahlt und einen Mindestpreis garantiert. In der Direktvermarktung sind die Albersmeiers ebenfalls aktiv: In Ihrem Verkaufswagen bieten sie Spezialitäten von eigenen Iberico-Schweinen. Und wenn gewünscht informiert Marianne Albersmeier ergänzend zur leckeren Bratwurst über die Themen Landwirtschaft und Tierwohl.